Donnerstag, 13. Dezember 2012

Adventskalender! - Das 13. Türchen

Hallo ihr Lieben!
Passend zu Weihnachten habe ich eine kurze Geschichte geschrieben.
Trotzdem hoffe ich, dass sie euch nicht zu lang ist und ihr sie trotzdem durchlest.

Es gibt viel zu viele Wörter auf der Welt. Viel zu viele unwichtige, falsche Wörter. Ich habe die Falschen verwendet. Ich habe sie verwendet und als ich sie rückgängig machen wollte, war es zu spät. Wir hatten einen Streit, einen Kleinen, wenn man bedenkt, wie groß die Probleme der Menschheit sind. Er war abgelenkt. Das Auto kam auf dem Eis ins Rutschen. Ich überlebte. Er nicht.
„Ich hasse dich.“ Das habe ich gesagt.
Seitdem sage ich nichts mehr. Die Ärzte können nichts tun. Sie haben alles versucht, aber der Schaden ist dauerhaft. Meine Eltern haben es nicht verkraftet und sehen mich seitdem immer so komisch an. Tut mir Leid, dass sie ein behindertes Kind haben. Schon ein Jahr lang.
Diese Weihnachten liegt kein Schnee. Morgen wird kein Schnee liegen. Es gibt kein Eis. Es ist wie im Frühling. Die Sonne scheint, an den Bäumen blühen die ersten Blüten. Ich lasse den frischen Wind auf meine nackten Arme und durch meine schwarzen Haare wehen. Ich renne. Das mache ich manchmal. Ich renne so weit und so schnell ich kann. Ich renne davon. Ich will vergessen.
Die Sonne steht noch tief. Es ist eine Allee, eine Verbindung zwischen meiner Stadt und einem Dorf. Drei Kilometer lang. Ich renne bis ich dort bin und schmeiße mich auf eine kleine morsche Bank. Ich sehe über das Feld zu den kleinen Bergen. Ich wollte dort hoch klettern. ER meinte, ich wäre verrückt. ER wollte nie mit mir dort hoch.
„Geht es dir gut?“, höre ich eine Stimme neben mir und ich schleudere herum. „Du weinst ja.“
Ich lächele dem Jungen zu und wische mir die Tränen weg. Dann wende ich mich wieder den Bergen zu. Wie es wohl da oben ist? Warum bin ich nicht längst alleine dort hoch? Aber sonst entferne ich mich von IHM.
„Bist du schüchtern?“
Ich schüttele meinen Kopf. Soll er doch denken, dass ich eingebildet bin. Ich will nie wieder einen Jungen zu nah an mich heranlassen. Aber trotzdem stellt sich mir die unerbittliche Frage: Wer ist er? Wer hat so eine warme schöne Stimme?
Ich sehe ihn mir nicht genau an, aus Angst, er könnte gut aussehen. Aus Angst, dass er etwas in mir auslöst. ER wird der einzige in meinem Leben bleiben.
„Kannst du nicht reden?“
Nicken.
Wer zum Teufel bist du? Warum hast du das so schnell erraten?
„Weißt du, manchmal rede ich viel zu viel. Da wünschte ich mir, ich könnte auch nicht reden.“
Ha, so ging es mir auch mal.
Dann sehe ich ihn an.
Grüne Augen. Dunkelbraunes Haar. Schlanke Figur. Die berührendste Wärme, die ich je gespürt habe. Er ist etwas jünger als ER, aber ER war drei Jahr älter als ich.
„Du hast ja blaue Augen“, sagt er und strahlt mich an. Dann sagt er nichts mehr.
Und ich sage nichts mehr.
Und plötzlich scheint es so, als würde ich alles über ihn wissen, als würde ich ihn schon ewig kennen. Als wäre er mein bester Freund, mein Beschützer und der Eine, der dieses Gefühl in mir auslöst.
Das verbotene Gefühl. Ich stehe auf und renne. Nein, das kann nicht sein. Nicht er, nicht ich. Nicht wir.
Ich höre seine Schritte hinter mir, spüre seine Hand auf meiner Schulter und das folgende Kribbeln in meinem ganzen Körper.
„Ich … Ich will dich nicht nerven, aber …“
Nein, rede weiter. Nicht aufhören, flüstert eine Stimme in mir, aber eine andere schreit: Renn!
„Ich wollte dir noch sagen, dass ich glaube, dass du reden kannst, wenn du nur willst.“
Nein, er irrt sich. ER hat sich nie geirrt.
Und jetzt renne ich. Ich renne richtig, sodass er keine Chance hat mich einzuholen. Nie wieder so ein Gefühl, wie bei IHM. Das habe ich mir geschworen.

„DU HAST DEINE TABLETTEN NICHT GENOMMEN!!!“, schreit meine Mutter am nächsten Tag durch das ganze Haus.
Oh nein, denke ich und verdrehe die Augen. Ich habe geträumt. Ich habe von dem Jungen von gestern geträumt. Ich wollte nicht. Und ich habe es trotzdem getan. Seitdem muss ich immer so doof grinsen. Und jedes mal, wenn ich mich dabei erwische, kneife ich mich, damit ich wieder weiß, dass ich nicht darf.
Gestern war ich allein. Ich habe mich noch einmal umgedreht, um zu sehen, ob er mir folgt. Aber er tat es nicht. Ich wusste nicht, ob ich darüber froh sein sollte oder niedergeschlagen. Wahrscheinlich war es besser so, aber irgendetwas in mir, wollte ihn ansehen, seine Stimme hören.
„Du musst deine Tabletten nehmen“, sagt meine Mutter ernst. „Sonst wirst du niemals wieder reden können, niemals einen Mann finden, nie glücklich werden. Du wirst ein einsames Leben führen, wenn dein Vater und ich irgendwann nicht mehr da sind.“
Na, frohe Weihnachten.

Was hat er bloß gestern dort gemacht?
Wohnt er in dem Dorf?
Hat er auf jemanden gewartet?
Ich lächle meiner Mutter zu und gebe ihr ein Zeichen, dass ich wohin muss. Ich müsste zur selben Zeit wieder dort sein, wie gestern. Vielleicht ist er heute auch wieder da.
Ich renne so schnell, dass SEINE Stimme, die mir verbietet, das zu tun, nicht hinterher kommt.
Ich spüre, dass ich strahle, dass ich glühe. Selbe Zeit, selber Ort.
Doch er ist nicht da.
Ich drehe mich zwei mal im Kreis, um auf Nummer Sicher zu gehen, aber keine Spur von ihm.
Wie dumm von mir. Wie konnte ich annehmen, dass er hier ist? An Weihnachten und kurz nachdem ich ihn offensichtlich gezeigt habe, dass ich nicht interessiert bin.
Ich sehe zu den Bergen, dann zum Dorf. Es ist nur ein kleines Dorf. Es kann doch nicht so schwer sein ihn zu finden. Also gehe ich los.
Trostlos sieht es hier aus. Die Straßen sind verlassen. Wahrscheinlich gehen die Leute hier erst mittags raus. Außer der Junge.
Ich suche, eine halbe, eine ganze Stunde lang. Es ist heute kühler. Der Himmel ist nicht mehr strahlend blau, sondern tiefgrau.
Aus irgendeinem Haus ertönt in voller Lautstärke „Jingle Bells“, hinter jedem Fenster ist schillernde Weihnachtsdeko zu erkennen.
Ich reibe meine Arme und gehe weiter und dann, in einem Vorgarten, sitzt er auf einer Stufe. Neben ihm ein Mädchen. Er sieht betrübt aus. Sie lächelt ihm aufmunternd zu.
Sie legt ihm ihre Hand auf die Schulter. Er lächelt auch. So ähnlich, wie er mich angelächelt hat.
ER hat mich auch angelächelt, wie er eine Andere angelächelt hat. ER hat sie geküsst. ER hat gesagt, dass er mich liebt und ich, dass ich ihn hasse. Dann war er weg.
Ich habe an jemand anderen gedacht. Viel später. Ich habe mich schlecht gefühlt. Doch dieser Andere ist genauso wie ER.
Und ICH werde jetzt diesen Berg besteigen, denke ich, bevor mich das Mädchen erschrocken ansieht. Ich beiße die Zähne fast zusammen, damit ich ihn nicht anschreie und ich renne.
Wie kam ich bloß darauf, dass er vielleicht etwas von mir will? Er hat gestern auf das Mädchen gewartet und als ich kam, war er einfach nur höflich zu mir.
Das Feld ist weit. Ich weiß, dass er mir folgt, aber er ist wie ER, also wird er nicht mit heraufkommen. Zu mir.
Aber eigentlich trifft ihn ja gar keine Schuld. Er hätte mich nur nicht so ansehen dürfen. Er hätte sie nicht so anlächeln dürfen!
Die erste Hälfte des Berges ist leicht. Dann verschwindet das Gras und steile Felsen ragen vor mir auf. Trotzdem versuche ich zu klettern. Ich finde schon einen Weg. Und wenn ich abstürze, dann macht das auch nichts. Den schlimmsten Sturz habe ich schon hinter mir.
Ich drehe mich nicht um. Hier oben bin ich sicher. Fast bin ich da.
Doch dann taucht er neben mir auf.
„Du rennst viel zu viel. Du läufst davon, aber du musst dich der Wahrheit stellen.“
Und die wäre? Dass du eine Andere liebst?
Dass du mit mir hier hoch gekommen bist?
Und plötzlich befinde ich mich in der Sonne wieder. Ich habe es geschafft! Ich bin dort, wo ich sein wollte, wo die Sonne hinkommt, wenn sie durch die Wolken bricht. Ich sehe das, was ich sehen wollte: Ewige Felder, die Allee, die Stadt, das Dorf.
Für IHN wäre das zu einfach gewesen, zu eintönig, aber er sagt: „Wow.“
Ich sehe ihn an, er ist nicht wie ER. Er ist anders, besser.
„Das Mädchen vorhin war meine Cousine.“
Das ist erlaubt?
„Wir sind kein Paar“, sagt er und ich merke, dass ich wieder grinsen muss.
Dann spüre ich seine festen Lippen auf meinen. Dann ist da nur noch der Junge, nicht ER.
Ich weiß nicht, wie lange der Kuss andauert, aber es kommt mir vor wie eine Ewigkeit und trotzdem ist er viel zu schnell zu Ende.
„Wollen wir hier bleiben?“, fragt er.
Wenn ich tatsächlich von meinen Eltern heute Abend ein Geschenk bekommen würde, so ist mir das egal. Das Schönste sitzt gerade neben mir.
Ich nehme alles zusammen, was ich in mir habe. Versuche den schönsten Ton zu treffen und sage so leise wie möglich: „Ja“.
Und wie ein Wunder segeln kleine weiße Flocken auf uns herab.

4 Kommentare:

  1. Die Geschichte ist echt toll.

    Ich war nur etwas verwirrt wegen dem ER und weil keine Vorgeschichte genannt wird. Ich dachte erst das ER der Vater war oder so, was mit "meine Eltern" dann die Frage war ob es der Vater ist.
    Schöne Geschichte!
    Macht weiter so.

    GLG♥

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    1. Danke für den lieben Kommentar =)
      Das ich am Anfang noch nicht verraten habe, wer ER ist, war absicht.

      Alles Liebe
      Luisa

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  2. Ja, deine Geschichte ist wirklich toll!
    Habe sie mit Begeisterung gelesen.

    aaaah, einfach klasse, ich liebe solche Geschichten.

    Drück dich
    Frau Huegel

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